Innovations-Sprint zur Teilhabe von Kindern mit chronischen Erkrankungen

Etwa jedes siebte Kind in Deutschland hat eine chronische Erkrankung. Diese Kinder und ihre Familien sind auf gezielte Therapien, umfassende Förderung und zuverlässige Unterstützung angewiesen. Doch oft erreichen diese Maßnahmen die Betroffenen nicht, da es an Ressourcen oder an der nahtlosen Zusammenarbeit zwischen den Beteiligten mangelt. Gleichzeitig gibt es noch ungenutzte Potenziale, die wir dringend erschließen müssen.

Genau hier setzt das Innovation Camp „Creative Care” an. Vom 24.–26. Oktober 2024 kamen rund 45 Teilnehmer:innen, zur Hälfte als der Gesundheitsversorgung und zur anderen Hälfte aus Kultur- und Kreativwirtschaft, betroffene Eltern, Verwaltung und Krankenkassen, im badencampus in Breisach zusammen. In einem 2,5-tägigen Innovations-Sprint haben sie Lösungsansätze für konkrete Fälle aus dem echten Leben mit Methoden aus der Kreativwirtschaft erarbeitet.

Unser Gesundheitssystem steht vor großen Herausforderungen: Fachkräftemangel, lange Wartezeiten und Überlastung prägen unseren Alltag.
So wie wir derzeit arbeiten, lassen sich diese Probleme nicht lösen. Die Zusammenarbeit im Innovation Camp hat uns gezeigt, dass wir unternehmerischer und mutiger agieren müssen – anstatt auf gesetzliche Lösungen zu warten, die oft keine Antworten bieten.
Dr. Thorsten Langer, Leiter des Sozialpädiatrischen Zentrum (SPZ) in der Kinder- und Jugendklinik des Universitätsklinikums Freiburg
Prof. Dr. Thorsten Langer
Leiter SPZ Freiburg

Wir von Service Design Süd West haben als lokaler Partner den Innovationsprozess mit der Veranstaltung als Höhepunkt, im Auftrag des Kompetenzzentrums Kultur- und Kreativwirtschaft des Bundes, finanziert vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz, geplant und umgesetzt.

Schritt für Schritt von der Idee zur Lösung

Als Innovationsberater:innen haben wir den Innovationsprozess und -methoden eingebracht. Methodisch haben die Teilnehmer:innen einen Design Thinking Prozess durchlaufen. Unterstützt wurden die Kleingruppen dabei von Innovations-Coaches aus unserem Netzwerk: Katrin Voges, Markus Leidinger, Ajara Pfannenschmidt, Sabine Schäfer und Hedra Youkhana. Inspirierende Impulsen aus Medizin, Kreativwirtschaft, Politik und Verwaltung haben das Programm abgerundet. In einer diskriminierungsfreien, respektvollen und wertschätzenden Atmosphäre war viel Raum für Austausch und Netzwerken.

Ein Innovation Camp ist ein intensives Workshop-Format, bei dem Expert:innen verschiedener Disziplinen in kurzer Zeit an konkreten Herausforderungen arbeiten. In 2-3 Tagen lassen sich innovative Ideen und erste Prototypen entwickeln. Die detaillierte Ausarbeitung und Umsetzung findet nach dem Camp statt. Das Camp fördert kreatives Denken und Vernetzung, läßt den Nutzen von nutzerzentriertem Arbeiten erleben und inspiriert zu neuen Wegen – wichtige Impulse, um Herausforderungen umfassend zu lösen.

Für uns begann das Innovation Camp bereits Wochen vorher. Zusammen mit den Fallgebenden haben wir im Vorfeld ihre Fragestellungen geschärft. Zum Auftakt haben wir die Teilnehmer:innen mit ihren unterschiedlichen Perspektiven gezielt in fünf gemischte Kleingruppen zu den Herausforderungen eingeteilt. Den Nachmittag haben sie dafür genutzt, sich kennenzulernen, ein gemeinsames Verständnis der Ausgangsfrage zu schaffen und dazu neue Erkenntnisse zu generieren.

In allen Gruppen bestand die Herausforderung am zweiten Tag darin, sich auf einen Teilaspekt zu fokussieren. In unterschiedlichen Tempo haben die Gruppen Lösungsideen generiert, verfeinert und zum Teil wieder losgelassen. Am Freitag nachmittag wurde es bunt mit vielfältigen Prototyping-Materialien. Fieberhaft haben die Teilnehmer:innen ihren Prototypen am Samstag der letzte Feinschliff verpasst und die öffentliche Präsentation der Ergebnisse vorbereitet.

Copyright: Mateo Wastrak, Mediateo.

Mit Methoden der Kultur- und Kreativwirtschaft haben wir einen ganz neuen Blick auf das Gesundheitssystem geworfen und einen Perspektivwechsel angestoßen. So konnten wirksame Hilfsansätze entwickelt und Vernetzung und Wissenstransfer gefördert werden.

Innovation in fünf Themenfeldern

In dem 2,5-tägigen Innovations-Sprint sind fünf Prototypen für verbesserte und neue Hilfsangebote entstanden. Diese adressieren konkrete, vorab formulierte  Herausforderungen im Umfeld des Sozialpädiatrischen Zentrums (SPZ) des Universitätsklinikums Freiburg, von Patient:innen und ihren Familien sowie dem weiteren Hilfesystem. Damit steigern sie die Innovationskraft des Klinikums und verbessern die Lebensqualität der kleinen Patient:innen und ihrer Familien.

Wartezeit neu gedacht

Wartezeiten neu gedacht
Illustration von Klaus Gehrmann
Wie können Familien die Wartezeit auf Diagnosen im SPZ sinnvoll nutzen und ihren Leidensdruck durch alternative Angebote mindern? Wie lässt sich die Wartezeit so gestalten, dass sie Familien stärkt und das Umfeld sensibilisiert?

Über ein digitales Anmeldeportal bietet die Künstliche Intelligenz „Patient Buddy“ Familien während der Wartezeit auf den ersten Termin im SPZ Orientierung und Unterstützung. Sie stellt Unterlagen bereit, beantwortet Fragen per Chatbot, bietet Videos und zusätzliche Infos an. Auch ein Bereich für die betroffenen Kinder ist geplant.

Erfahrungswissen gut genutzt

Wie können das Erfahrungswissen betroffener Familien und das Fachwissen der SPZ-Mitarbeitenden gemeinsam genutzt werden, um neuen Familien besser zugängliche Unterstützung zu bieten?

Ab dem ersten Termin im SPZ begleitet der „FamilienKompass“. Ein Begegnungsraum mit interaktiver Wand fördert den Austausch zwischen Familien aktiv. Angestellte FamilienLotsen bieten individuelle Beratung. Über einen Kompetenzkreis wird das Erfahrungswissen der Betroffenen in die Arbeit des SPZ integriert.

Erfahrungswissen gut genutzt
Illustration von Klaus Gehrmann

Teilhabeleistungen effizient bewilligt

Teilhabeleistungen effizient bewilligt
Illustration von Klaus Gehrmann
Wie können Teilhabeleistungen und Unterstützungsangebote für Kinder mit chronischen Erkrankungen oder Behinderungen effizienter bewilligt und bedarfsorientiert umgesetzt werden, besonders bei komplexen Zuständigkeiten oder Zugangshürden wie Sprachbarrieren?

CareWeiser erleichtert Familien den Weg durch das komplexe Gesundheitssystem und den Zugang zu Leistungen. Das digitale Tool unterstützt bei der Beantragung in mehreren Sprachen. Einzigartig an CareWeiser ist, dass keine Diagnose erforderlich ist: Ein Verdacht reicht aus, um erste Schritte zu unternehmen.

Das System ist komplex und oft intransparent – Lösungen müssen ganzheitlich und systemisch gedacht werden, denn Einzellösungen greifen zu kurz. Vor allem, wenn mehrere Erkrankungen zusammenkommen, wird der Zugang für Betroffene zusätzlich erschwert. Empathie und barrierefreie Kommunikation sind entscheidend, aber leider nicht selbstverständlich.
Jacqueline Staiger
Jacqueline Staiger
Experience & Service Designerin

Das aufsuchende SPZ

Wie kann ein mobiles SPZ gestaltet werden, das SPZ-Mitarbeitenden hilft, die Lebensrealitäten der Familien besser zu verstehen und bedarfsgerechte Therapiemaßnahmen zu entwickeln?

Eltern betroffener Kinder müssen in kurzer Zeit sehr viel Wissen erlangen. Die digitale Anwendung bietet Informationen zu bürokratischen Wegen, Kostenübernahmen und Krankenkasse. Beratungsangebote für Gruppen unterstützen die Betroffenen interaktiv.

Das aufsuchende SPZ
Illustration von Klaus Gehrmann

Diagnosen verstanden, Bedarfe erkannt

Diagnosen verstanden, Bedarfe erkannt
Illustration von Klaus Gehrmann
Wie kann es Betreuungspersonen in Kita oder Schule erleichtert werden, die Bedürfnisse der Kinder zu erkennen und bedarfsgerecht zu handeln?

Über eine App können Eltern tagesaktuelle Infos mit Erzieher:innen und Lehrer:innen teilen. Die Diagnosen der Kinder sind darin gespeichert und erklärt. So können Betreuungspersonen besser auf die Bedürfnisse der Kinder eingehen. Die App erleichtert die Kommunikation und bietet inklusive Informationen sowie Methoden zur Förderung von Ressourcen.

Neue Impulse für ein vernetztes Gesundheitssystem

Eindrucksvoll hat das Innovation Camp „Creative Care“ gezeigt, welches Potenzial in der Zusammenarbeit verschiedener Sektoren wie Gesundheitswesen, Kreativwirtschaft, Bildung und Verwaltung steckt. Die Notwendigkeit von innovativen Lösungen im Sinne der Betroffenen haben in ihren Eröffnungsreden sowohl Nadyne Saint-Cast, Landtagsabgeordnete für den Wahlkreis Freiburg II, betont, als auch Wirtschafts-Staatssekretär Dr. Patrick Rapp: “Hoffentlich kommt’s nicht so schlimm, wie’s schon ist”.

Die Teilnehmer:innen des Camps haben diese Notwendigkeit aufgegriffen und mit viel Engagement und Kreativität innovative Lösungsansätze erarbeitet. Der inspirierende Austausch hat neuen Mut gemacht voranzugehen, trotz oft starrer Strukturen und bürokratischer Hürden. Aus der Kombination von Erfahrungswissen und zukunftsweisenden Ideen haben wir nicht nur vielversprechende Prototypen entwickelt, sondern auch das Fundament für zukünftige, nachhaltig wirksame Partnerschaften und ganzheitliche Ansätze im Gesundheitssystem gelegt –um den Alltag von Familien mit Säuglingen, Kindern und Jugendlichen mit Entwicklungsauffälligkeiten und chronischen Erkrankungen nachhaltig verbessern. 

Der Innovationsprozess verlangt Mut und Ausdauer. Es braucht die Bereitschaft, Umwege in Kauf zu nehmen und Spannungen auszuhalten.
Doch nur so wird aus einem scheinbar unlösbaren Problem eine konkrete Lösung, die am Ende tatsächlich Bestand hat.
Ajara I. Pfannenschmidt
Ajara I. Pfannenschmidt
UXpert & Coach

Bei Service Design Süd West setzen wir auf interdisziplinäre Zusammenarbeit und bewährte Innovations-Methoden. Unsere Inspiration dafür ziehen wir aus der Welt des Service Design Thinking, Lean Startup sowie Open Innovation und Systems Thinking. Die Erfahrung des Innovation Camps hat uns wieder bestätigt: Durch kontinuierlichen Dialog, agiles Vorgehen und nutzerzentrierte Designprozesse lassen sich echte Veränderungen im Gesundheitssystem anstoßen.

Lassen Sie uns gemeinsam weiterdenken – wir sind gespannt auf Ihre Ideen und bereit, Organisationen dabei zu unterstützen, eine Gesundheitsversorgung zu gestalten, die Empathie, Verantwortung und Innovation vereint.